Sonntag, 18. September 2016

Augentropfen gegen Kurzsichtigkeit?

Augentropfen gegen Kurzsichtigkeit?




Tropfen statt Brille: Als Vorbeugung gegen zunehmende Kurzsichtigkeit bei Kindern könnten spezielle Augentropfen helfen. 

Darauf deuten Studien in Asien hin. Demnach verhindern Atropin-Augentropfen eine Kurzsichtigkeit effektiver als Kontaktlinsen und vermehrtes Tageslicht. Ob diese Vorbeugungsmethode auch bei nichtasiatischen Kindern hilft, muss noch getestet werden, deutsche Augenärzte berichten aber bereits über positive Erfahrungen.

Zu den am stärksten zunehmenden Augenproblemen weltweit gehört die Kurzsichtigkeit, auch Myopie genannt. In Europa sind derzeit schon 47 Prozent aller 25-Jährigen betroffen, in einigen asiatischen Ländern sogar bis zu 96 Prozent der 20-Jährigen. Kurzsichtigkeit ist auch ein Hauptrisikofaktor für ernste Augenleiden wie Makuladegeneration, Netzhautablösung und Glaukom ist. „Es ist deshalb vordringlich, die Sehschwäche zu stoppen, wenn sie beginnt, also im Grundschulalter“, betont Wolf Lagrèze vom Universitätsklinikum Freiburg. 

Neben genetischen Anlagen soll auch ein verändertes Freizeit-, Lern- und Arbeitsverhalten die Ursache, für die zunehmende Kurzsichtigkeit sein: „Verstärkte Naharbeit durch Lesen, Computernutzung oder Smartphone fördert Myopie“, erläutert Lagrèze. „Das gleiche gilt für die Tendenz, sich immer weniger draußen unter freiem Himmel aufzuhalten.“

Um Kurzsichtigkeit vorzubeugen und das übermäßige Wachstum des Augapfels bei Kindern zu verhindern, setzen Experten weltweit auf korrigierende Brillengläser, Kontaktlinsen, natürliches Tageslicht, aber auch Medikamente wie Atropin-Augentropfen.

Atropin ist ein Nervengift, das aus der Tollkirsche gewonnen wird und in medizinisch unbedenklicher Dosis häufig in der Medizin angewendet wird – etwa, um die Pupillen weit zu stellen.

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Atropin-Tropfen verringern Myopie-Zunahme


Wie wirkungsvoll diese Maßnahmen im Einzelnen sind, hat nun eine aktuelle Meta-Analyse untersucht, für die Forscher 16 randomisierte und kontrollierte Interventionsstudien auswerteten. 

Demnach ergibt sich folgendes Ranking in der Wirksamkeit: Atropin-Tropfen hochdosiert verhindern eine Myopie-Zunahme von 0,68 Dioptrien pro Jahr, dicht gefolgt von niedrigdosierten Atropin-Tropfen mit 0,53 Dioptrien. Dann folgen Kontaktlinsen mit 0,21 Dioptrien jährlich. Zwei Stunden Tageslicht täglich schützen immerhin noch vor einem Verlust von 0,14 Dioptrien und liegen damit gleichauf mit Gleitsichtbrillen.

Deutsche Studien fehlen


„Dass Atropin Kurzsichtigkeit effektiver bremst als Kontaktlinsen oder Tageslicht, deckt sich mit unseren bisherigen Annahmen“, kommentiert Lagrèze. Dennoch werfe die Meta-Analyse eine wichtige Frage auf. „Die Behandlungen könnten womöglich bei asiatischen Kindern besser anschlagen als bei europäischen“. 

Augenärzte in Deutschland verordnen dennoch bereits jetzt vielfach Atropin, außerhalb des vorgesehenen Anwendungsgebiets. Kinderophthalmologe Lagrèze, der die Tropfen inzwischen immer häufiger verschreibt, berichtet von ermutigenden Erfahrungen mit dem Präparat. „Die ersten Rückmeldungen sind positiv, das Medikament ist in der geringen Konzentration gut verträglich“, so Lagrèze. Er empfiehlt Atropin in einer Konzentration von 0,01 Prozent über mehrere Jahre vor jedem Schlafengehen jeweils mit einem Tropfen in beide Augen zu geben.

Nach Ansicht der Mediziner müssten nun dringend Studien auch mit deutschen Kindern auf den Weg gebracht werden. „Bis hier Ergebnisse vorliegen, sind Schulen und Eltern gefordert, bei Kindern auf eine ausreichende Versorgung mit Tageslicht zu achten“, so Lagrèze. 

Wie gut die „Tageslichttherapie“ funktioniert, zeigt das Beispiel Taiwan. Dort müssen Kinder während der Schulzeit täglich zwei Stunden ins Freie, nach dreißig Minuten Lesen folgen zehn Minuten Pause von der Nahsicht. Das Ergebnis: In Taiwan ist die kindliche Kurzsichtigkeit seit 2012 wieder rückläufig.
(Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG), 16.09.2016 - HDI)

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