Montag, 18. April 2016

Typ-2-Diabetes eine reversible Erkrankung ?

 Typ-2-Diabetes eine reversible Erkrankung ?


(Quelle: Wiki)

Eine neue Studie britischer Forscher bringt ein Paradigma der Diabetologie, die Irreversibilität des Typ-2-Diabetes, ins Wanken. Durch eine Phase extrem niedriger Kalorienaufnahme gelang es bei mehr als einem Drittel der Studienteilnehmer die Diabeteserkrankung umzukehren - und der Effekt scheint von Dauer zu sein, wie die Mediziner um Dr. Sarah Steven vom Magnetic Resonance Centre am Institute of Cellular Medicine der Newcastle University in Newcastle upon Tyne in Diabetes Care berichtent. 

„Die Auffassung, dass Typ-2-Diabetes eine chronische und irreversible Erkrankung ist, die über die Jahre immer weiter fortschreitet, ist die gängige Lehrmeinung“, betont auch Dr. Helmut Kleinwechter vom Diabetologikum Kiel im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Umso beeindruckender ist die Botschaft dieser kleinen aber gut gemachten Studie, dass es sich bei Diabetes um eine reversible Erkrankung handeln könnte“, ergänzt er. 

„Mit einer täglichen Zufuhr von nur 600-700 Kalorien war die in der Studie vorgenommene Kalorienrestriktion dramatisch“, kommentiert Prof. Dr. Annette Schürmann, die am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke die Abteilung Experimentelle Diabetologie leitet. „Dieser Ansatz ist vergleichbar mit dem der bariatrischen Chirurgie, bei der die Patienten ebenfalls deutlich weniger Kalorien zu sich nehmen als zuvor, sehr rasch an Körpergewicht verlieren und sich schon früh Verbesserungen des Nüchternblutzuckers und des HbA1c-Wertes zeigen.“ 

Maximal 700 Kalorien am Tag waren erlaubt 

30 Patienten, die seit 0,5 bis 23 Jahren an Typ-2-Diabetes erkrankt waren, nahmen an der Studie teil. Sie ernährten sich 8 Wochen lang mit einer Flüssigdiätkost (Optifast), ergänzt um wenig stärkearmes Gemüse. So kamen sie auf 624 bis maximal 700 Kalorien am Tag. 

Wer sich kasteit, hat gute Chancen: Britische Studie belegt, dass Typ-2-Diabetes umkehrbar ist - auch längerfristig 

Nach Ablauf der 8 Wochen wurde schrittweise wieder feste Nahrung eingeführt, bis die Studienteilnehmer nach 2 Wochen bei einer isokalorischen Energieaufnahme angelangt waren. Nun folgte eine 6-monatige Erhaltungsphase mit dem Ziel, das reduzierte Gewicht zu halten und nicht wieder zuzunehmen. 

Denn der in der strengen Diätphase erreichte Gewichtsverlust war beachtlich: Im Schnitt nahmen die Teilnehmer in dieser Zeit 14,2 kg ab, das Durchschnittsgewicht der Gruppe sank von 98,0 auf 83,8 kg. Und auch die Gewichtserhaltung klappte gut: Nach 6 Monaten betrug das Durchschnittsgewicht der Studiengruppe immer noch 84,7 kg. 

Um das Ansprechen der Diabeteserkrankung auf die Intervention beurteilen zu können, teilten die Autoren um Steven die Teilnehmer in Responder und Non-Responder ein. Eine Response war dabei definiert als ein Nüchternblutzuckerwert unter 7 mmol/l (126 mg/dl) nach Rückkehr zur isokalorischen Ernährung. 

13 von 30 Studienteilnehmern, also 40%, erfüllten dieses Kriterium - und dies ohne medikamentöse Therapien. Im Laufe der 6-monatigen Erhaltungsphase kam noch ein 13. Responder hinzu, die Ansprechrate stieg somit auf 43%. Nicht nur auf den Nüchternblutzucker hatte die restriktive Ernährung einen positiven Effekt, auch der HbA1c-Wert sank bei den Respondern drastisch: von 7,1 vor der Intervention auf 5,8% nach Rückkehr zur isokalorischen Ernährung (55 auf 40 mmol/mol; p < 0,001). Und der reduzierte Wert blieb über die 6-monatige Erhaltungsphase stabil. 

Die Auffassung, dass Typ-2-Diabetes eine chronische und irreversible Erkrankung ist, die über die Jahre immer weiter fortschreitet, ist die gängige Lehrmeinung. 

Die Responder unterschieden sich von den Non-Respondern insofern als sie jünger (52,0 vs. 59,9 Jahre) und weniger lange an Diabetes erkrankt waren (3,8 vs. 9,8 Jahre). Sie hatten außerdem zu Beginn niedrigere Nüchternblutzucker- und HbA1c-Werte sowie höhere Seruminsulinspiegel. 

Doch unabhängig von der Definition einer Response hatte die Intervention auch bei den sogenannten Non-Respondern positive Stoffwechseleffekte:„In beiden Gruppen normalisierte sich der Fettgehalt der Leber und die hepatische Insulinsensitivität stieg an“, berichten Steven und ihre Mitautoren. 

„Die Verbesserung des Leberstoffwechsels sowohl bei den Respondern als auch den Non-Respondern ist ein wichtiges Ergebnis, denn die Leber spielt möglicherweise im weiteren Verlauf für die Entstehung von Sekundärkomplikationen eine entscheidende Rolle“, sagt Schürmann. „Sobald die Funktion der Leber wiederhergestellt oder optimiert wird - sei es auf Dauer oder für einen begrenzten Zeitraum - hat man dem Körper etwas Gutes getan.“ 

Die Rückkehr der Erstphasen-Insulinsekretion in den nichtdiabetischen Zustand war nur bei den Respondern zu beobachten. Eine laut Kleinwechter besonders wichtige Erkenntnis der Studie: „Typ-2-Diabetes scheint eine Folge von Betazell-Dedifferenzierung zu sein, und nicht des Betazellverlustes. Dies zeigen auch Versuche der Autoren, bei denen sie die Insulinsekretion erfolgreich mit der Aminosäure Arginin stimulierten. Die chronische Hyperglykämie legt also die glukoseinduzierte Stimulierung der Betazellen lahm, aber die Betazellen funktionieren noch.“ 

„Die derzeit gängigen Vorstellungen zum Verlauf des Typ-2-Diabetes basieren auf einer Reihe großer Studien, die alle einen über die Jahre stetig zunehmenden Bedarf an blutzuckersenkenden Medikamenten zeigten“, schreiben die Autoren. Doch in all diesen Langzeitbeobachtungen sei es im Laufe der Zeit zu einer fortschreitenden Gewichtszunahme gekommen, „die Irreversibilität des Typ-2-Diabetes ist also nur bei chronisch positiver Kalorienbilanz gezeigt worden. Unsere Daten zeigen, dass Typ-2-Diabetes allein eine Reaktion auf Überernährung ist“

Kein Typ-2-Diabetes in Kriegs- und Hungerzeiten 

„Typ-2-Diabetes gibt es nicht in Kriegs- und Hungerzeiten“, bestätigt Kleinwechter. „Und wenn man die Kalorienaufnahme auf ein Hungerniveau wie im Krieg drosselt, kann man den Typ-2-Diabetes in Remission bringen.“ 

Bleibt die Frage, was passiert, wenn die Hungerzeiten vorbei sind. „Eine starke Kalorienrestriktion ist ein gutes Werkzeug, um die Diabeteserkrankung aufzuhalten oder zumindest den Verlauf zu bremsen, entscheidend ist aber, dass das Gewicht anschließend gehalten wird“, betont Schürmann. 

Steven und ihren Kollegen gelang es mit einem strukturierten und individualisierten Gewichtserhaltungsprogramm die Studienteilnehmer so weit zu unterstützen, dass sie in der 6-monatigen Erhaltungsphase tatsächlich nicht wieder zunahmen. „Die entscheidende Frage für die Gesundheitsversorgung ist aber, ob im Rahmen der Primärversorgung eine echte Langzeitremission des Typ-2-Diabetes erreicht werden kann“, räumen sie ein. 

Klappt das Gewichthalten auch in der Primärversorgung? 

Beantworten soll diese Frage die gemeindebasierte Studie DiRECT (Diabetes Remission Clinical Trial). Sie läuft derzeit mit 280 Teilnehmern, die nach einer niedrigkalorischen Phase entweder an einem strukturierten und individualisierten Gewichtserhaltungsprogramm teilnehmen oder die bestmögliche, leitlinienbasierte Versorgung erhalten. 

„Typ-2-Diabetes kann nun als potenziell durch Gewichtsverlust reversible Stoffwechselerkrankung angesehen werden“, schreiben die Autoren, räumen aber ein, dass „nicht alle Menschen mit Typ-2-Diabetes bereit sein werden, die notwendigen Veränderungen in ihrem Essverhalten vorzunehmen“. 

„Die Restriktion der Nahrungsaufnahme in der ersten Phase dieser Intervention ist einschneidend, aber auch in der Phase der Gewichtserhaltung müssen die Patienten bereit sein, signifikant weniger zu essen“, betont Schürmann. Der Biologin zufolge müsse schon im Vorgespräch gemeinsam mit dem Patienten überlegt werden, ob er sich vorstellen kann, für den Rest seines Lebens etwa ein Drittel weniger zu essen. „Darauf muss er sich einlassen können.“

Quelle: http://care.diabetesjournals.org/content/39/5/808

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