Samstag, 8. Oktober 2016

Autophagie ist die Recycling-Fabrik der Zellen


Autophagie


Autophagie: Die Müllabfuhr in unseren Zellen. Diese Entsorgung – wörtlich "Selbst-Fressen" – beseitigt Reste von Krankheitserregern, aber auch fehlgebildete oder überflüssig gewordenen Proteine und spielt daher auch für Krankheiten wie Parkinson eine Rolle.





Die Autophagie ist die Recycling-Fabrik der Zellen: Sie sorgt für Energie in Zeiten, wenn durch Hunger und Stress der Energienachschub knapp wird. Die Zelle beginnt dann, alte oder nicht essenzielle Bauteile zu verdauen, um daraus Energie zu gewinnen. Gleichzeitig trägt sie beim Embryo dazu bei, dass sich die verschiedenen Zelltypen und Gewebe entwickeln.


Als zelluläre "Müllabfuhr" sorgt die Autophagie bei einer Infektion dafür, dass bakterielle oder viralen Erreger abgebaut und eliminiert werden. Eine entscheidende Rolle spielt diese Entsorgung zudem für die Gesunderhaltung der Zelle, indem sie fehlgebildete oder beschädigte Proteine und Zellbausteine beseitigt.

Schon in den 1950er Jahren hatten Forscher entdeckt, dass es in Zellen Kompartimente gibt, in denen besonders viele proteinzersetzende Enzyme vorkommen. Später beobachtete man, dass in diesen "Lysosomen" sogar ganze Zellbestandteile vorhanden sein können und möglicherweise abgebaut werden Der Verdacht lag nahe, dass hier die zelluläre Müllabfuhr aktiv ist.


Spurensuche in Hefezellen


Doch wie diese zelleigene Entsorgung funktioniert und welche Schritte sie umfasst, ließ sich lange nicht feststellen. Das Problem dabei: Offenbar gab es einen Zwischenschritt, der zu entsorgende Materialien zu den Lysosomen transportiert und dabei schon "vorzerkleinert". Doch diese bläschenartigen Transporter entzogen sich der Beobachtung, weil sie zu kurzlebig waren.

Eine Lösung für dieses Dilemma fand erst 1992 Yoshinori Ohsumi von der Universität Tokio. Der Forscher entschloss sich, die Frage der Autophagie anhand von Zellen der Bierhefe näher zu untersuchen. Seine Idee: Wenn es ihm gelänge, den Abbau der bläschenartigen Autophagosomen zu unterbinden, dann müssten sie lange genug erhalten bleiben, um sie und die in ihnen ablaufenden Vorgänge näher untersuchen zu können.


Rundliche Körperchen in hungernden Zellen


Um das zu erreichen, züchtete Ohsumi einen Hefestamm, dem die Enzyme fehlten, die normalerweise Vakuolen und andere zelleigene Bläschen abbauen. Dann ließ er diese Zellen hungern, um sie dazu zu bringen, sich sozusagen selbst zu verdauen – denn dann müssten die gesuchten Autophagosomen auftreten.

Und tatsächlich: Innerhalb von Stunden waren flüssigkeitsgefüllten Hohlräume in den Hefezellen mit kleinen runden Körperchen gefüllt – den Autophagosomen. Ohsumi hatte damit erstmals diese entscheidenden Akteure der zelleigenen Müllabfuhr dingfest gemacht und damit die Voraussetzung für die weitere Erforschung der Autophagie geschaffen.

Steuer-Gene und Proteine identifiziert


Nun folgte der nächste entscheidende Schritt: Ohsumi setzte die Hefezellen einer Chemikalie aus, die zufällige Mutationen in deren Erbgut auslöste. Seine Idee dahinter: Wenn die Mutation ein Gen trifft, das für die Autophagie und die Bildung der Autophagosomen zuständig ist, dann müsste diese Zelle keine dieser Körperchen mehr bilden können.

Durch ständige Wiederholung gelang es Ohsumi im Laufe des nächsten Jahres, die ersten für die Autophagie essenziellen Gene zu identifizieren. Durch weitere Experimente konnte er wenig später auch die Proteine charakterisieren, die von diesen Genen produziert werden. Letztlich gelang es dem Forscher so, die gesamte Kaskade der Proteine und Proteinkomplexe zu entschlüsselt, die die Autophagie der Zelle regulieren.

"Fundamentale Bedeutung"


Dank Ohsumi und den auf seinen Arbeiten basierenden Forschungen wissen wir heute, wie die zelleigene Müllabfuhr gesteuert wird und welche entscheidenden physiologischen Funktionen sie hat. Durch ihre Funktion als "Aufräumer" spielt die Autophagie auch eine Schlüsselrolle für Krankheiten wie Parkinson, aber auch Krebs.

"Autophagie ist schon seit über 50 Jahren bekannt, aber ihre fundamentale Bedeutung für Physiologie und Medizin wurde erst durch Yoshinori Ohsumis Paradigmen-verändernden Forschung in den 1990er Jahren bekannt", heißt es in der Begründung des Nobelpreis-Komitees. "Für seine Entdeckungen erhält Ohsumi den diesjährigen Nobelpreis in Physiologie/Medizin."

(Nobel Foundation, 04.10.2016 - NPO)

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