Die Enzymtherapie in der Onkologie
Historische Wurzeln der Enzymtherapie
Später wurden neben pflanzlichen Proteasen auch solche tierischen Ursprungs entdeckt. Der schottische Arzt Dr. John Beard (1857 – 1924) berichtete etwa, dass er mit frischem Pankreassaft (Trypsin) Tumore verschwinden lassen konnte [3]. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort “frisch”, da Enzyme schnell unwirksam werden und altern. In den 30er Jahren entdeckte Ernst Freund, Direktor des Krebszentrums am Rudolfina-Spital in Wien, dass Karzinomzellen in vito durch das Serum Gesunder zerstörbar waren, nicht jedoch durch das Serum Krebskranker. Freund konnte nachweisen, dass diese fehlende zytolytische Aktivität im Serum Krebskranker durch sogenannte “blocking factors” hervorgerufen wurde.
Die Enzymtherapie in der Onkologie
Neben der antiödematösen, antiinflammatorischen und analgetischen Wirkung von Enzymen (gut geeignet etwa als Grippemittel, bei festsitzendem Husten bzw. Nasennebenhöhlenprozessen und Verletzungen im sportlichen Bereich) ist für die Onkologie insbesondere von Bedeutung, dass Enzyme Metastasierungsprozesse beeinflussen und wachtumshemmend auf Primärtumore wirken können. So hat man in den neunziger Jahren festgestellt, dass Bromelain sogennate Adhäsionsmoleküle, die u. a. für den Metastasierungsprozess verantwortlich gemacht werden, hemmen kann (Adhäsionsmolekül CD 44).
Blocking factors und Escape-Phänomen
Man hat festgestellt, dass die bereits erwähnten “blocking factors” identisch sind mit Immunkomplexen. Diese entstehen etwa durch einen Überschuss von Tumorzellantigenen mit Antikörpern, die nach der Zerstörung von Krebszellen freigesetzt werden. Dieses Überangebot von Immunkomplexen lenkt das Immunsystem ab. Man bezeichnet diesen Effekt als “Escape-Phänomen”; das Immunsystem wird sozusagen “beschäftigt” gehalten und so von seiner eigentlichen Abwehrfunktion abgelenkt. Enzyme können diese Immunkomplexe auflösen und damit indirekt den Krebs bekämpfen. Bleibt die Anzahl der Immunkomplexe gering, so können die Makrophagen diese eliminieren – eine intakte Immunosurveillance liegt vor [4]. Erst bei überschüssigen Immunkomplexen (etwa bei Pankreas- und Magenkrebs sowie beim Mammakarzinom) wird das Immunsystem abgelenkt.
Ein weiteres “Escape-Phänomen” ist in der Tatsache gegeben, dass eine übermäßige Fibrinbildung Tumorzellantigene markieren kann, die sich damit dem Zugriff von Antikörpern entziehen können [5]. Enzyme sind in der Lage, überschüssiges Fibrin abzubauen und damit Tumorzellantigene zu “demaskieren”.
Regulierung des Zytokinspiegels
Die Enzyme Trypsin, Chymotrypsin, Lipase, Papain und Bromelain steigern in vitro die Aktivität von Makrophagen und natürlichen Killerzellen, wobei vermehrt Zytokine (TNFL, IL18 und IL6), die als Botenstoffe des Immunsystems fungieren, freigesetzt werden. In vivo ist allerdings keine Zytokinstimulation, eher eine Zytokinregulierung zu beobachten.
Ein weiterer Mechanismus ist die Bindung und Zytokinen an das L2-Makroglobulin (L2 MG), das ein Regulator- und Transportprotein für Zytokine darstellt. Bei überschießender Zytokinfreisetzung treten zu viele Zytokin-L2-MG-Komplexe auf, die eine negative Immunwirkung haben – Enzyme sind in der Lage, diese Komplexe schnell zu entsorgen. Sie spalten durch ihre Aktivität polymerisierte TNF-Komplexe. Diese werden für die Kachexie verantwortlich gemacht. Die normalerweise tumorzide Wirkung von TNF geht bei dieser Komplexbildung verloren.
Regulierung von Adhäsionsmolekülen
Adhäsionsmoleküle sind Oberflächenmerkmale von Zellen, die für den Zell-zu-Zell-Kontakt verantwortlich sind. Auch Immunzellen besitzen Adhäsionsmoleküle. Sie gehören zu den entscheidensten Regulatorproteinen des Immunsystems (z.B. Selektine, Immunglobuline, cartilage-link). Werden die Adhäsionsmoleküle zu stark gebildet, so wird eine stärkere Metastasierungtendenz die Folge sein. Enzyme können die Expression von Adhäsionsmoleküle runterregulieren [6], so beispielsweise das Adhäsionsmolekül Vitronektin bei Melanomzellen oder das CD 44 tumorrelevante Adhäsionsmolekül. Tab. 1 fasst die hier dargestellten Mechanismen einer Interaktion von Enzymen mit dem Immunsystem zusammen.
Tab. 1 Interaktionen von Enzymen mit dem Immunsystem
Regulation von Immunkomplexen |
Demaskierung von Tumorzellantigenen |
Stimulierung des monoukleäre-phagozytären Systems |
Entsorgung von Zytokin-L2-Makroglobulin Komplexen |
Spaltung von TNF-Monstermolekülen |
Beeinflussung von Adhäsionsmolekülen |
Mit Enzymtherapie die Folgen invasier Maßnahmen mildern
Bezüglich der Operation können Enzyme lokale Ödeme und Wundheilungsstörungen gut beeinflussen. Bekannt ist seit den Arbeiten Rokitanskys auch, dass Enzyme Kolliqualionsnekrosen von Tumorgewebe hervorrufen können [7]. Rokitansky berichtet auch über eine Zehn-Jahres-Überlebensrate von 75,6 Prozent (Mammakarzinom T3, N1/N2, MO) unter Enzymgabe, wogegen eine vergleichbare Gruppe aus der Literatur nur eine Zehn-Jahres-Überlebensrate von 25 bis 50 Prozent hatte.
Insbesondere additiv zu einer Chemotherapie können Enzyme von großer Wichtigkeit sein. So kann etwa ein Pneumotoxizität von Bleomycin durch Enzyme verhindert und die Blomycindosis auf das Zwei- bis Dreifache gesteigert werden [8]. Ähnliches gilt für die Lebertoxizität von Carboplatin beim Ovarialkarzinom. Beim Kolonkarzinom könnte die Toxitität von 5-FU / Levamisol durch Enzyme möglicherweise gar vermindert werden. Bezüglich der positiven Wirkung von Enzymen additiv zu einer Strahlentherapie ist bekannt, dass eine strahlenbedingte Entzündung schneller abklingen und der sog. Strahlenkater vermindert werden kann. Große klinische Studien [9] belegen eindrucksvoll den Wert der Enzymtherapie in Ergänzung zu Chemo- udn Strahlentherapie. Tab. 2 fasst die Vorteile der Enzymtherapie in diesem Zusammenhang zusammen.
Tab. 2 Mögliche Vorteile einer ergänzender Enzymtherapie bei Chemo- und Strahlentherapie
Bei Chemotherapie |
Übelkeit, Brechreiz und Haarausfall können reduziert werden |
toxische Effekte einzelner Chemotherapeutika können ausbleiben |
Appetit- und Gewichtszunahme |
Verminderung von Depression und Schwächezuständen |
Hebung der Lebensqualität |
Bei Bestrahlung |
Verminderung von Durchfall |
Reduktion von Haut- und Schleimhautentzündungen |
Verminderung schädlicher Medikamente, die zur Gegensteuerung der Radiation notwendig sindLiteratur[1] Tabelle des Statistischen Bundesamtes Deutschland. Sterbefälle 2011 insgesamt nach den 10 häufigsten Todesursachen der ICO-10. [2] Statistik der Deutschen Krebshilfe e.V., Stand: 02/2012 [3] Beard J.: The Action of Trypsin, in: Br Med J 4, 140-41, 1906 sowie Beard J: The Enzym Treatment of Cancer. London: Chatto and Windus, 1911 [4] Vgl. die frühen Forschungen des rus. Bakteriologen Ilja Matschnikows (1845-1916), der zusammen mit Paul Ehrlich “in Anerkennung ihrere Arbeiten über die Immunität” 1908 den Nobelpreis für Medizin erhielt [5] Nieper HA: Bromelain in der Kontrolle malignen Wachstums, Krebsgeschehen 8,9-15, 1976 Maurer HR: Bromelain: biochemistry, pharmacology and medical use. In: Cellular and Molecular Life Sciences. Band 58, 2001 [6] Desser L. Krokon EA et al: influence of Cytokines and proteolytic enzymes on the expression of vitrocetion receptor (VNR) in human melanoma cells. J. Cancer Res CI in Oncol 118. Suppl. R 117, 1992 [7] Rokitansky O, Die operative Behandlung des Mammakarzinoms mit adjuvanter Enzymtherapie Acta medica empica 1983, Nr. 3, 115-116 [8] Schedler M. et al: Adjuvant therapy with hydrolytic enzymes in oncology a hopeful effort to avoid bleomysinum induced pneumotcxcity? Cancer R. Cin Oncol 116, Supp. 1, 432, 1990, Vgl. auch Rübben H: Uroonkologie: Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2009, S. 239 [9] HAGER, D. Komplemtäre Onkologie, Adjuvarte, additive, supportive Therapiekonzepte für Klinik und Praxis. Forum Medizin Verlagsgesellschaft, Gröfling 1996 |
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